Dialog

Menschen, Sprachen, Literaturen

"komm"

„Tina Strohekers Gedicht ‚komm’, während des Golfkriegs entstanden und jetzt bedrängend aktuell geworden, ist in neunzehn europäische und außereuropäische Sprachen übersetzt. Die Übersetzer sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ‚Laien’. Sie gehören zum Freundes- und Bekanntenkreis der Autorin und leben meist im Kreis Göppingen. Die zwanzig Sprachen stehen für alle Sprachen der Welt. […] Wir haben ‚komm’ […] als plakatgroße Fotokopien in einige der Heime für Asylbewerber, Aussiedler oder russische Juden gehängt, in denen unsere Dichterlesungen ‚Eine Nacht in Deutschland’ stattfanden, als Aufforderung für die Hausbewohner. Denn durch die verschiedenen Sprachen konnten wir die meisten Nationalitäten direkt ansprechen.“

(Hajo Jahn, in: Info 11 der ELSE-LASKER-SCHÜLER-GESELLSCHAFT, Wuppertal, Februar 1993)

Zweisprachige Lyriklesungen

Die Autorin mit dem Lesungspartner Hu Rui. (Foto: Peter Ritz)

Seit 1990 stellt Tina Stroheker mit PartnerInnen – einige waren am „komm“-Projekt beteiligt – in der Eislinger Stadtbücherei im Schloß internationale zeitgenössische Lyrik in Original und Übersetzung vor. Die von VHS und Stadtbücherei getragene Reihe ist zu einer festen Größe im literarischen Leben der Stadt geworden. Jeweils im Frühjahr lesen MuttersprachlerInnen aus Eislingen und Umgebung Gedichte in ihrer Sprache, das Programm erarbeitet die Lyrikerin gemeinsam mit ihnen.

 

„Ich suche Muttersprachler zum Lesen der Originaltexte. So läßt sich etwas knüpfen wie ein Netz von Menschen in und um Eislingen, die aus aller Herren Länder stammen, nun aber hier wohnen und Freude daran haben, ihre Literatur vorzustellen. Die Zuhörer in der Stadtbücherei können in eine Klang-Welt eintauchen. Sie ahnen eine vielschichtige und reiche Welt der anderen Kultur.“

(„Wenigstens einen Blick riskieren“. In: „Aufenthalt“ II, 1998)

Eislinger Poetenweg

Cees Nooteboom besucht seine Stele (Foto: Paul Kottmann)

Die Vielfalt der Poesie in die Stadt holen … : Anläßlich der ersten urkundlichen Erwähnung Eislingens vor 1150 Jahren wurden 2011 an 22 Orten in Eislingen, die meisten im Zentrum, hohe gläserne Stelen installiert, auf denen Gedichte von AutorInnen vieler Sprachen und Länder zu lesen sind. Wer vor den Stelen steht, sieht, wie die Texte in klaren Buchstaben leuchten und gleichzeitig ein Blick auf das Geschehen hinter der Texttafel möglich ist, aufs Alltagsleben. Tina Stroheker, die Kuratorin der Dauerausstellung, kümmert sich seitdem auch um weitergehende Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Poetenweg.

 

„Wer wohnt nicht gern in einer Stadt, deren Parlament der Poesie Vorrang vor der Parkuhr gewährt? Hier wird praktiziert, was der Anglist, Übersetzer und Lyriker Klaus Reichert unter ‚das Menschenrecht auf Poesie’ versteht. Die Eislinger Freiluftanthologie steht für eine langjährige Tradition.“

(Holmar Attila Mück, „Die Umkreisung der Zeit“. In: Deutschlandradio Kultur, Berlin, 27. 1. 2013)