Unterwegs

Nicht zufällig heißt eine der Publikationen von Tina Stroheker „Aufenthalt“. Der Wechsel zwischen Aufbruch und Heimkehr, Eislingen und der Welt, dem Engagement in der direkten Umgebung und der Inspiration durch die Fremde gehört zum Leben der Autorin.

 

Von Ulm, Stadt der Kindheit, über München zurück ins Württembergische, von dort nach Rom, später ins wendländische Schreyahn, nach Amsterdam und nach Schöppingen im Münsterland, aber auch nach Wien und in die USA, nach Soltau in der Lüneburger Heide und ins dänische Hafenstädtchen Svendborg, nach Sibirien. Eine besonders wichtige Erfahrung ist Polen geworden, wo sie längere Zeit im oberschlesischen Strzelce Opolskie und in Łódź verbracht hat… Auch ihre Vorliebe für eine großstädtische ‚Dépendance’ als Ergänzung zum Leben in Eislingen gehört zum Wechsel zwischen Hier und Dort.

 

„Verbindliche Verbindungen zu Menschen sind ihr wertvoll, zu Frauen und Männern, zu Jungen und Alten, zu Erzählern und Poetinnen hierzulande, in Polen und anderswo auf der Welt; ein reger Austausch von Worten und Gedanken zwischen Ländern, Kulturen und Ansichten sind ihr Anliegen. […] Und all das tut sie ganz und gar, gibt Energie dazu; sie forscht und findet, ergreift und verquickt, bis sie Gestaltetes hinaus schickt, in Köpfe und Herzen. Eislingen fordert sie heraus, Eislingen läßt sie nicht aufhören, etwas bewegen zu wollen. Egal wohin sie reist, ganz gleich, was sie anderswo findet, sie kehrt mit erfrischtem Atem gefüllt zurück, um neu aufzubrechen und wieder zurückzukehren.“

 (Andrea Maier, „Tina Stroheker“. In: „Eislingen. Stadt der Vielfalt“, Eislingen 2011)

 

„Der Künstlerhof Schreyahn gerät ihr mehr und mehr zu einem Ausgangspunkt für weitreichende Erkundungen der norddeutschen Tiefebene. […] So wird Tina Strohekers Fähigkeit, sich selbst immer wieder ins Leben zu werfen, in Schreyahn häufig gefordert. Die neuen Erfahrungen sind ihr Lebenselixier, die Neugierde auf Menschen ist ihr Antrieb.“

(Axel Kahrs, „Die SchreyahnerGrenzgängerin“. In: „Aufenthalt“, Bd. I, 1998)

 

„Ohne meine Aufbrüche, die zeitweiligen Abwesenheiten vom lieben Vertrauten zuhause, könnte ich nicht gut leben. Ortswechsel sind Energiespritzen für mich. Neue Eindrücke sind da, neue Bilder fallen in mich ein und können zum Anlaß neuer Texte werden. Technisch: Ohne Input kein Output. Mag mich, wer will, oberflächlich, abhängig von Äußerlichkeiten nenne, ich muß ‚auf Montage fahren’. Diese Aufbrüche bedeuten keineswegs eine Art verschleierten Urlaubs für mich. Im Allein-Sein, in der Fremde liegt ja die Gefahr, daß ich mich verliere, wenigstens zeitweise. Bin ich denn ‚da’, anwesend, wo niemand mich kennt? Aber am Ende aktivieren die Krisen, das ist meine Erfahrung.“

(„Vom Aufbrechen und Ankommen“. In: „Aufenthalt“, II, 1998)

(In: „Vom Aufbrechen und Ankommen“. In: „Aufenthalt“, II, 1998)

Zum Beispiel … Łódź 2002

(Foto: Peter Ritz)

„’Fahren Sie nicht nach Lodz!’, riet mir vor der Reise ein Bekannter im stolzen Krakau. Der Warner hatte seine Rechnung aber ohne Lodz gemacht: ‚Schön’ im touristischen Sinne ist die Stadt sicher nicht. Lodz ist anders. Genau deshalb war ich so gerne dort. Die Partnerstädte Stuttgart und Lodz haben mir ermöglicht, dort als ‚Gastschreiberin‘ ein Vierteljahr zu leben. Für Stuttgart mag die ‚Gastschreiberin‘ literarische Botschafterin gewesen sein, in Lodz hoffte man, die Verfasserin des ‚Polnischen Journals’ werde über die Stadt schreiben. Für mich war dieser Herbst eine Chance für neue Erfahrungen.

Reisen: Eine Leerstelle auf der Karte wird ein lebendiges Ganzes. Aus vier Buchstaben wird eine Stadt mit Menschen, Gebäuden, einer Geschichte und Atmosphäre. Und weil der Stadtname Łódź gleichzeitig das polnische Wort für ‚Boot’ ist, saß ich denn plötzlich mit vielen neuen Freunden in diesem besonderen Boot ...

Auch die Gastschreiberin lebte in zwei Kulturen: Ich saß Stunden am Notebook, versunken in die deutsche Sprache, in die Arbeit an (m)einem ‚Lodzer Wörterbuch’, dann ging ich hinaus in die polnische Stadt und Sprache. Solcher Wechsel der Welten kann anstrengen. Aber ich machte immer wieder eine Erfahrung, die ich mir nicht ausreden lasse: Menschen haben das Bedürfnis nach Verbindung, Lust auf das Miteinander. Selbst, wenn zum ‚nationalen Gepäck‘ viel Schweres gehört (mein Hotel lag im ehemaligen Ghettogebiet). Gerade die Literatur ist Ausdruck davon, daß wir den Dialog suchen. Ich hoffe, mein Aufenthalt war der Anfang eines Austauschs von Literaten.“

(„Lodz ist anders“. In: Kulturpolitische Korrespondenz, Bonn, 10. 3. 2003)

Zum Beispiel … Nowosibirsk 1999

„Im Airbus der Aeroflot hatte es begonnen. Nach der Ankunft in Rußland dann überall, auf Plakatwänden und Schildern, in Zeitungen und Büchern: die kyrillische Schrift. Dauernd ist die Reisende umgeben von diesen Zeichen. Sie sehen aus wie ein Angebot, eine Aufforderung zum Entziffern, sie sind schließlich Buchstaben. Aber die Besucherin kann sie nicht selbstverständlich erschließen […]

Irritation ist gut. Illusionen kommen so nicht auf, man werde sich zügig im fremden Land ‚wie daheim’ fühlen. Die Begegnungen mit freundlichen russischen Menschen könnten dazu später beitragen. Auch später, als mir (des Polnischen etwas kundig) der Klang der gesprochenen Sprache vertraut war, ja, ich mich eigentlich wunderte, dass ich bei so viel Vertrautheit de facto kaum etwas verstand, genügte ein Blick auf die Schrift-Zeichen zur Ernüchterung: Ich war und blieb eine eifrige Erstklässlerin, eine Fibel-Leserin, die, vor sich hin murmelnd, mit dem Zeigefinger, Zeichen für Zeichen, sich auf dem Papier voranarbeitet.“

(„Buchstabieren der Fremdheit“. In: Eßlinger Zeitung, 1./ 2. 4. 2000)

 

 

Sollte es kein Zufall gewesen sein, dass im Flugzeug mein Nebenmann ein Buch von Bruce Chatwin gelesen hatte, sein Titel: „What am I doing here?“

 

Überhaupt Dichter. Als die sehr ernsthafte junge Frau, die uns durchs Omsker Dostojewskij-Museum führte, hörte, in unserer Gruppe befinde sich eine Schriftstellerin, strahlte sie plötzlich: „Sie müssen wiederkommen!“ Es gibt im Land einen Glauben an einen verbindenden Geist der Dichtung, über Grenzen und Zeiten hinweg. Ich buchstabierte wieder einmal: Kennst du das, was du eben erlebst? Und diesmal begriff ich rasch, entdeckte ich etwas, das ich trotz aller postmodernen Zweifel und Relativierungen auch in mir selbst finde. In diesem Moment wußte ich, „what I am doing here“ …

(„Buchstabieren der Fremdheit“, in: Eßlinger Zeitung, 1./2. 4. 2000)

Zum Beispiel … Sweet Briar, Virginia 1997

(Foto: Peter Ritz)

Virginia Center for The Creative Arts:

„Wie sollte ich wissen, daß ich eine unbekannte Freundin in Deutschland hatte? Die ich in Virginia entdecken würde? Ich war unvorbereitet – was gut ist für eine Künstlerin – auf Tina. […]  Die deutsche Dichterin und die amerikanische Stückeschreiberin sahen gemeinsam ein Reh mit toten, erstaunten Augen. Tina wird vielleicht lachen, wenn ich sage, daß wir über dem Körper eines Rehs Freunde wurden. Aber ich glaube, das ist in Ordnung. Künstler lassen symbolische Exzesse anderer Künstler zu. Wenn sie Freunde sind.“

(Cheryldee Huddleston,„Eine lyrische Tochter Deutschlands im großen Commonwealth von Virginia“. in: „Aufenthalt“, Bd. I, 1998)

Zum Beispiel … Rom 1986/87

(Foto: Peter Ritz)

„Rom war der Anfang. Ich lernte, in überfüllten und überheizten Liegewagen mit schnarchenden Menschen zu schlafen, in fremden Sprachen zu fragen, Wege zu finden und aus Bussen heraus zur richtigen Zeit, festen Schrittes allein durch Städte zu gehen, in denen ich nicht zuhause war. Rom war mein Anfang. Auch das verdanke ich Rom.“

(„Vom Aufbrechen und Ankommen“. In: „Aufenthalt“, II, 1998)